Ich fuhr jetzt die 39. Runde, meine fünfte. Es war schon etwas schwerer, die Kette lief oft auf der linken Seite, aber ich fühlte mich ganz ok. Der Fanclub reagierte auf Zuruf und brüllte mich wieder den Anstieg Richtung Robert / Bridgestone hoch. Die Beine fingen an zu brennen. Die Nürburg hoch, den Trail und den Skihang runter und wieder den langweiligen Anstieg rauf. Am zweiten Trail standen endlich mal ein paar Zuschauer oben auf der kleinen Rampe. Ich fuhr hoch ohne abzusteigen und hörte einen sagen: „Ej, das sah echt gut aus“, und ich dachte „warte erst mal die Abfahrt ab, wie gut die aussieht“ – und was kam? In dem mittlerweile mehrere Zentimeter hoch liegendem Staub rutschte mir gleich in der ersten Rechtskurve das Vorderrad weg und ich lag wie ein Maikäfer auf dem Rücken mit dem Fahrrad an den Schuhen im Nürburger Dreck. Wie superpeinlich… Ich rief den beiden zu: „Und, das sah doch auch gut aus!“ Schaltung und Bremsgriffe waren total verdreht. Noch bevor die beiden mir zu Hilfe kamen saß ich wieder auf meinem gelben Teil und ärgerte mich bis auf die Grand-Prix-Strecke. Der Wind hatte von Ost auf West gedreht, also voll der Gegenwind die lange Gerade hinunter. In der Wechselzone angekommen bekam ich gleich einen Anschiss von meinem Sohn Sven: „Man bist du lahm die Gerade runtergekrochen!“, Er hatte das mit dem Gegenwind noch nicht mitbekommen.

Unser Fahrerlagerplatz füllte sich wieder mit zahlreichen FBI Fans. Zu unserer Überraschung stattete Verbandsbürgermeister Dr. Alexander Saftig zusammen mit Ortsbürgermeister Walter Kuhl aus Siebenbach unserem Team einen Besuch ab, verbreitete gute Laune und motivierte uns den 2. Platz zu verteidigen. 

Nach etwas über 17 Stunden Fahrzeit und 42 Runden hatte X-Bike Team ENJOY wieder deutlich Boden gut machen können und lag nur einige Minuten hinter uns.

Ab jetzt begann ein ständiges hin und her laufen zum Zeitenmonitor. Der Abstand zu unseren Verfolgern wurde akribisch mit der Uhr überwacht. An unserem Zeitenmonitor traf ich nun auch die X-Bike Kollegen aus Heidelberg, die genau wie wir die Abstände kontrollierten. Wir hatten so um die 16 Minuten Vorsprung. Das könnte klappen, dachte ich, es darf nur nix passieren. Einen platten Reifen an der Nürburg und der Vorsprung wäre futsch. In uns allen stieg die Spannung und der absolute Wille war da den 2. Platz zu holen.

Meine 6. und gesamt 47. Runde: Ich war müde. Die Sonne brannte auf mein geiles schwarzes FBI Trikot. Nach dem Anstieg zur T13 lief es wieder den Umständen entsprechend normal. In der Abfahrt konnte ich mich etwas erholen denn das Warmfahren hatte ich lange schon aufgegeben. Der Fanclub grölte wie immer und die Zuschauer an der Nürburg grüßte ich freundlich mit dem Hinweis auf die schöne Eifel. „Und, macht es noch Spaß?“ frage ein Ehepaar. „Na ja,“ war meine Antwort. Gedacht hatte ich was ganz anderes. Der Anstieg und die Abfahrt und wieder der Anstieg bis in den zweiten Trail verliefen aus meiner Sicht ganz gut.Ich hatte ja nur den zweiten Platz im Kopf und wollte das hier nicht versauen. Also Kette ganz nach links, volles Rohr treten, wieder die Rampe hoch. Das ging die ersten Meter gut, dann kam ich zu nahe an den rostigen Zaun, der mich sanft in Empfang nahm. Das sah mit Sicherheit absolut lächerlich aus. Zwei Mountainbiker aus Kelberg, die sich an dieser Stelle postiert hatten und in der Nacht bei uns im Lager zu Gast waren, holten mich schneller als ich gucken konnte aus dem Zaun und schoben mich den Berg hinunter. Jetzt bloß nicht noch mal auf die Fresse fliegen dachte ich. Zum Glück ging alles gut. Fast alles. Vom Hundsloch hoch zur GP-Strecke fuhr ich mit dem Kopf nach unten. Das Jedermannrennen und die Touristenfahrer waren jetzt auch auf der Nordschleife unterwegs. Es war sauvoll. Natürlich fuhren da auch ne ganze Menge Luschen rum. Als ich meine Augen mal wieder auf die Fahrbahn richtete, sah ich zwei langsame, sich unterhaltende Schmalspurkriecher etwa zwei Meter vor mir. Ich rief nur noch: „Achtung, ich fahr zwischen euch durch!“, und mit einem wahnsinnigen Geschwindigkeitsüberschuss zischte ich zwischen ihnen vorbei. Sie murmelten irgendwas und schüttelten die Köpfe. Wahrscheinlich waren sie von meiner Geschwindigkeit begeistert. Ohne Zeitgefühl, den zweiten Platz vor Augen, ging es im Windschatten eines Rennrades die Start- und Zielgerade runter und ich war mir sicher es ist schon halb vier durch, und das musste meine letzte Runde gewesen sein. Nach dem Wechsel erfuhr ich dann, dass es erst viertel nach zwei war und eine weitere Runde anstand.

Auch nach dieser Runde lagen wir nur knapp vor Team X-Bike ENJOY. Wir waren jetzt 19 Stunden 8 Minuten und 55 Sekunden auf der Strecke und fuhren eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 17,33 km/h. Volle Kanne Herschbroich hatte schon 55 Runden abgespult mit 20,41 km/h Durschnittspace. 

Nicht nur mir ist das Zeitgefühl verloren gegangen. Auch unser Teamgeist gab langsam, verständlicher Weise, den Geist auf. Sie hatte keine Sekunde die Augen zu machen können, musste immer erreichbar sein und hatte jeden Wechsel vorbereitet und durchgeführt, sich die Abfahrtszeit gemerkt um den nächsten Fahrer in die Warteposition zu bringen. Nach über vierzig Wechsel und einem heftigen Heckklappenschlag auf den Kopf, von unserer Sponsorin und Köchin Petra die ein leckeres Frühstück brachte, konnte sich Heidi die Zeiten nicht mehr merken und wir schrieben ab da alles auf.

Dieter lief mir mal wieder über den Weg. „Man Gilles, du schon wieder,“ stöhnte ich. Das war nicht böse gemeint, nur immer wenn Dieter mir über den Weg lief kam er gerade von seiner Runde und Rallye war am heizen. Für mich das Zeichen, dass ich in ca. 20 Minuten wieder strampeln musste. Als Rallye die 54. Schleife absolviert hatte lagen wir immer noch nur knapp vor Team X-Bike ENJOY. Fahrzeit 21 Stunden, 53 Minuten und 42 Sekunden. Die Durchschnittsgeschwindigkeit hatten wir auf 17,42 km/h gesteigert. Aber auch die Badener steigerten das Tempo.